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Freitag, 17. Dezember 2010

Das Pflegekind

Es war einmal ein Schulbub namens Elias. Es hieß im Dorf, ihm waren leiblicher Vater und Mutter abhanden gekommen. Man hinterließ ihm das Erbe eines Pflegekindes, in Sonstwo geboren und von der sakrosankten Familie R. aus „christlicher Nächstenliebe“ aufgenommen. Diese Familie war so fromm, sie beteten täglich den Rosenkranz aus ihrem Gedächtnis, aber sie waren Leute mit einem „Vorgesicht“. Ein Familienproblem dieser Pflegefamilie war zudem die simple Tatsache, sie waren Menschen mit übertrieben scharfem Sparkurs, sprich „geilem“ Geiz, jedoch vielhabend an Wald, Wiesen und mehr. Dieser Sparkurs und fehlendes Kinderverständnis waren verantwortlich, dass dem Pflegekind Elias heiß ersehnte Kinderwünsche versagt blieben, wie der Tretroller, ein Fahrrad und ganz schlimm, jegliches Wintersportgerät, angefangen beim Rodel - und das in einem heiß begehrten Wintersportort. Aber stets und immer gehörten tägliche Kirchenbesuche zum oberstes Muss für diesen Bub.

Dazu kamen zunehmende schulische Nöte. Elias’ Pflegeeltern waren eigentlich nicht mehr jung genug, um einem Pflegekind gerecht werden zu können. Von Kind an war er außerschulisch gänzlich eingeteilt in schwere Feld- und Stallarbeit sowie im väterlichen Handwerk. Spät abends, wenn es endlich hieß, aufzuhören, fiel der ständig angemäkelte „arme Tropf“ todmüde in sein Bett, das nur in einem winzigen Schlupf untergebracht war. Gleichzeitig hatte er zunehmend unter dem strengen und spöttischen Dorflehrer zu leiden, als ein Mann, der seinen Beruf total verfehlt hatte. Er traute sich in seinem Unverständnis, Elias Faust- und Stockhiebe zu erteilen, einfach als „schreckliche Bestrafung“, weil er wiederholt nur aus verzweifelter Schülernot zum Lügner wurd’, da keine Zeit blieb für gemachte Hausaufgaben. Immer wieder war er „so richtig fertig“ mit seinen kindlichen Kräften, mit seinem kaputten Selbstvertrauen. Er lernte, ständig alleine gelassen zu werden mit sämtlichen Ängsten und Nöten, in dieser frommen, aber „blinden“ Großfamilie. Er hatte nur sich selbst. In diesem lieblosen Zuhause wurd’ das tägliche Heckmeck um nicht gemachte Hausaufgaben, mit Ärger um den Dorflehrer zur Folge, fast unerträglich, denn diese falsch fromme Familie interessierte sich nicht für seine schulischen Pflichten, seine Stärken, Schwächen und Nöte, einfach nicht gekümmert um die Schulbelange ihres Pflegekindes. Er war kein dummer Schlendrian, aber als ein hilfloses Kind zu sehr beladen mit körperlich schweren Aufgaben als sein tägliches Muss. Als mittlerweile ein pubertierender Rebell fühlte er sich nicht nur ausgeschlossen, sondern bereits als ein Aussortierter, vom Dorflehrer und seinen Mitschülern. Nur das Mädchen Netti als Mitschülerin entwickelte einzig starke Mitgefühle für ihn, und sie war sich ganz sicher, dass der gebeutelte Elias diesem Lehrer-Tyrannen aus irgendwelchen geheimen Gründen ein Dorn im Auge war. 

Bei soviel Fehlverhalten der Pflegeeltern und einer so ungerechten Lehrperson, da möchte man schreien und wie ein Verlierer gegen die Bande treten. Doch „als Bande“ wurden wehrlose Schüler nach dem Unterricht eingekreist, mit Rempeln und Verhauen an der Tagesordnung, als Ansammlung von Entwertungs- und Missachtungs-Erfahrungen eines Schülers, der täglicher Verlierer war. So versteckte er sich nach der Schule allerliebst hinter der mächtigen Friedhofsmauer, das Maul voll mit frisch Geschneitem und passte Buben und Mädchen ab, um sich mit bösen Faust- und Fuß-Hieben zu rächen, für Unzufriedenheit in der Familie und Frust in der Schule. Netti war es, die er stets verschonte, so fein waren seine kindlichen Gefühle, zu empfinden, wer es gut mit ihm meinte und ihm einzig etwas Halt gab.

Besonders traurig und rachelustig zeigte er sich in der Adventzeit, wenn alle Gleichaltrigen sich mit viel Begeisterung im Neuschnee beim Rodeln, Schifahren und Schanzen austobten und mit fiebrigen Augen ihre Weihnachtswünsche verglichen. So kam es, dass er gerade in dieser Zeit einen waghalsigen Streich plante. Es kam über ihn beim abendlichen Adventgottesdienst, darunter die unseligen Heuchler, so seine wütenden Gedanken. Sie kamen nicht von ungefähr, darunter auch sein Lehrer, der gemeine Schubiak, und die sakrosankte, hysterische Pflegemutter mit der frommen Sippe. Allesamt waren sie hier versammelt, die lieben Leute, reich an Nächstenliebe und noch mehr, dass man sich „nicht mehr jung“ einem Pflegekind annahm, die Leute mit ihrem scheinheiligen Vorgesicht. So hegte er schon lange einen geheimen Wunsch. Dazu gehörten die hinter der Kirche gelagerten Holzbretter-Verschnitte in allen Größen, geschickt geeignet zur Verwendung als Holzkeil. Zahlreiches Kleinwerkzeug trug er immer bei sich in seinen riesigen Hosentaschen, seiner stets unpassenden, mehrfach ausgebesserten Überhose. In geduckter Haltung schlich er sich so langsam aus dem Gotteshaus ins Freie. Die Pflegemutter konnte nichts bemerken in ihrem sakrosankten Gebetswahn mit geschlossenen Augen. Und schon war er draußen im ungestümen Schneetreiben und gab sich hurtig an sein Vorhaben. Die schon seit längerem passend gemachten Holzriegel wurden so unter die Türschnalle verkeilt, dass sich der Türknopf nicht mehr bewegen ließ. Er begann seine Arbeit am Haupteingang. Blitzschnell hatte er mit viel handwerklichem Geschick sämtliche Kirchentüren gut verriegelt und versperrt, um die gemeinen Heuchler einmal so richtig in Angst und Schrecken zu versetzen.

Und jetzt war es soweit, sie sangen gerade das Halleluja. Dann hörte man ein Drücken der Türschnallen mit vereinten Kräften und ein Drücken und Poltern mit Händen und Füßen gegen die Türe. Gut war die zunehmende Panik draußen zu verstehen, wie der Menschenknäuel zunehmend verzweifelt Richtung Ausgang trampelte. Man hörte tiefe und schrille Stimmlagen, alles staute sich zu einem schwitzenden Pfropfen. Endlich plagte auch die Heuchler einmal so richtig Angst, darunter der gemeine Lehrerkauz, die hysterische Pflegemutter mit der scheinheiligen Verwandtschaft und allesamt aus dem Dorf. Netti war an diesem Tag nicht unter den Kirchenbesuchern. Ihre Anwesenheit hätte Elias ganz sicher genügt, seine Wut wieder einmal zum Abfedern zu bringen. Friedliche Kirchenbesucher hatten sich innerhalb kürzester Zeit in einen hysterischen Fluchtpulk verwandelt. Ausgerechnet jetzt kam es auch noch zu dem vorhergesagten Gewitter mit Schneesturm, das die Leute unter Blitz und Donner mit lauten Schreien durchdrehen ließ. Es entstand nach etwa 30 Minuten richtige und gefährliche Panik, unter der dieser Bursche Elias schon über Jahre unschuldig litt. Sie trommelten mit vereinten Kräften an die schon bebende Holztüre.

Hinter dem protzenden Familien-Grabstein hielt sich Elias in Deckung. Jetzt näherte sich der schwerfällige Kirchengehilfe mit Verwunderung über Rufe und schlagende Geräusche aus dem Inneren des Gotteshauses. Beim Betrachten der Türe gelang es ihm nicht in seiner Einfältigkeit, Herr der Dinge zu werden. Schnell holte er sich zwei Helfer, und gemeinsam begaben sie sich daran, mit viel Gewalt eine Türe am Haupteingang zu öffnen. Der fromme Pfropf im Innern löste sich dann nach etwa 45 Minuten auf. Jämmerlich weinend hatten alle Weibsen ihre Grinder in große Taschentücher vergraben und sich gegenseitig ängstlich und klammernd eingehakt. Ein alter Mann war auf dem Friedhof zusammengebrochen und musste vom Dorfarzt versorgt werden. Auch Gendarmen waren herbeigerufen und sorgten für Wirbel auf dem vom Schneesturm heimgesuchten Gottesacker. Bis am nächsten Schultag war Elias dieser Tat überführt. Netti war es, die sich schützend zu ihm gesellte und für Elias wie zu seinem Joker wurd’. Und dann - zur allgemeinen Verwunderung legten sich der anwesende Bürgermeister samt Pfarrer beharrlich ins Zeug und verhinderten Elias’ Ausrücken in ein Heim. Warum machten sich diese Herren plötzlich so stark für dieses Pflegekind namens Elias?

Keiner wusste es sicher, war er wirklich ein  Pflegekind oder gar ein unehelicher Balg als ein Kind der Schande. So hatte sich Netti mit zwei guten Freundinnen eine eigene Vorstellung geschaffen, nachdem immer und überall in aller Stille und nur hinter vorgehaltener Hand über seine Herkunft spekuliert wurde. Und Netti gehörte schon als Kind zu denen, die keine Ruhe gab, bis ein Geheimnis gelüftet war.Netti hatte wiederum eine Tante, die wusste irgendwann wieder etwas Wahres. Denn diese Tante arbeitete nachts als eine der gefährlichen Telefonistinnen und war so eine Kennerin vieler Geheimnisse im Dorf. Es gab hier noch die unter einem frommen Mantel zugedeckten Hintergründe zu durchleuchten. Und jetzt wurde ein gehütetes Geheimnis dieser frommen Pflegefamilie offenbar. Nach dieser abenteuerlichen Tat war es ganz still durchgesickert, und Netti mit ihren beiden Freundinnen kamen sich vor wie die „Panzerknacker“. Elias war demnach ein verschwiegenes Enkelkind der Pflegefamilie, und kein Geringerer als ein strafversetzter Geistlicher war sein Erzeuger. Die verschwiegene Wahrheit, die nur verschwommen ans Licht gekommen war. Und bloß, weil die Leute aus Feigheit schweigten, konnten sie alle weitermachen mit dem falschen Gehabe und Getue um Elias. Die zum Teil noch bis heute herrschende falsche Devise.

Keiner hatte sich jemals gefragt, was diesem Kind fehlt, damit es zu seinem Gleichgewicht findet. Ein großer Teil der Probleme, die auch heute der Gesellschaft in gefährlichen Racheakten zu schaffen machen. Die Wiederfindung einer heilen Kindheit und Schulzeit waren sein endloser Traum, bis 48-jährig zu seinem tragischen Ende.

Das war eine kleine, leidliche Schüler-Szene aus dem „frustrierten Leben“ von Elias, wie unbehaust und unglücklich er sich Zeit seines Lebens gefühlt haben mag. In gelegentlichen Blog-Geschichten könnt Ihr wieder einmal etwas und vielleicht gar mehr erfahren über Elias und das gemeine Fehlverhalten seiner frommen Pflegefamilie, als Leute mit dem Vorgesicht – denn Frommsein alleine genügt nicht – aber mit Zivilcourage kommt Gott sei Dank so manches ans Licht.

Denn wenn eine Seele weint, sind Tränen nicht zu sehen,
aber es können „böse Dinge“ geschehen.
H.W.
Ich wünsche meinen Lesern noch eine frohe Adventszeit,
hoffentlich mit gesunder kindlicher Begeisterung für Weihnachtsträume.