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Samstag, 18. April 2015

Der Nadelkönig

Auf meinem täglichen Schleich-Pfad bin ich den Bäumen keine Fremde. Ganz besonders hat es mir darunter „Bruno“ angetan. Dieser heimische Gigant mit abertausend vielen Nadeln hat mich zudem einmal beschützt, wie mir ein Naturgeschehen regelrecht „das Schaudern“ lehrte. Als plötzlich immer dunklere bis schwarze Wolken aufzogen, befand ich mich mit meinem Labrador in Sekundenschnelle mitten in einem tosenden Unwetter, mit schaurigem Blitz-Gewitter. Schnell konnte ich mich noch in der idyllischen Waldnische unter meine favorisierte Tanne retten. Der Regen war so mega-schnell und peitschend, dass ich zum Schutz nur noch beide Hände vor meine Augen hielt. „Weltuntergang“, so hieß mein Gedanken-Chaos. Und schon geschah es. Nur eine gewöhnliche Hauslänge von mir und meiner vierbeinigen Blondine entfernt, hat sich der Blitz im Wiesenboden mit teuflischem Krachen entladen. Nur die „himmlische mail-box“ und„Bruno“ haben mich vor Schlimmem bewahrt, bin ich mir sicher. So ist zwischen „Bruno“und mir eine „verrückte“ Liebe gewachsen. Immerfort, wenn ich ihn über seine verästelten Fühler passiere, schenke ich ihm dankend Augenkontakt und mehr. Ich weiß es, der gute Geist in seinen mächtigen grünen Armen wurde zu meinem Schutzengel. Seitdem ist er ganz geheim „mein Bruno“. So hieß ein lieber Verwandter, der in seiner hoch gewachsenen Gestalt auch knorrig war und mir als Kind ein Vieles seiner Liebe schenkte. Zudem war er geschätzt als Wunderheiler für Mensch und Vieh und in seiner spärlichen Freizeit als Jäger mit Vorliebe in diesem Part Wald zu Haus’.Drum hab’ ich den Rundling spontan nach „Bruno“ benannt, weil ebenso rar als Energieträger, wie mein seliger Verwandter, und dem Kern für durch und durch körperliche Harmonie.

Doch diese Tage geschah Merkwürdiges. Im Vorübergehen wurde ich in dieser Stille mit einem “Sprecher“ überrumpelt. Jedoch weit und breit niemand zu sehen. Dann wieder - aber jetzt wie Gelispel. Ich bin wie unter Strom zusammengezuckt und hatte Angst, mein Herz geht ins Finale. „Ich hab’ Dich so vermisst“, ließ die dumpfe Stimme mich in verwaschener Sprache, aber deutlich wissen. Ich solle ein paar Schritte nach rechts tun, damit die dicken Regentropfen nicht wieder an mir abprallen. „Hier sorgt sich jemand um dich, du warst ganze sieben Tage nicht in diesem Wonne-Revier“. Die Stimme kommt wie von einem Tonträger, jedoch aus „Brunos“ Herzstück. Ich wage kaum noch, mich zu bewegen. Ich dreh’ mich immer wieder um und bin nicht froh darüber, maus-alleine zu sein mit einem Walser Geist. Ich spüre meine blutigen Lippen, so haben die Zähne in meiner Angespanntheit durchgebissen. Dass meine Bluse triefendnass und schwer an mir klebt, beginne ich erst jetzt, wahrzunehmen.

Und schon beginnt dieser mein Nadelfreund, in tiefem Ton zu lamentieren. Keiner wisse um den tiefen Schmerz, den ein hundsgemeiner Mörderdraht auf Brusthöhe hervorruft. Irgendeinem Kuhhirten habe es gefallen, ein spitzes Dingsda mit ein paar tief ausgeholten Schlägen wie ein Pfeil in seine raue Brust zu treffen. Er fleht, seine verhornte Oberfläche zu befreien, um sein Herz vor gefährlicher Nässe zu schützen und schadhaften Wichten diesen tunnelhaften Zugang zu versperren. Denn die auch noch so kleine Wunde durch das stachelige Monsterteil reicht aus, dass Eindringlinge sein Dasein erschweren und der mächtige Grüne keine Vitamine mehr überallhin verteilen kann. Das Unwohlsein zieht stromartig bis in den Wipfel der Baumkrone. Dieser ungetüme Heumacher, so „Bruno“, war niemals in einer richtigen „Bergbauern-Schule“. Mein Schädel brummt nur noch, und ich lege meine flach gehaltenen Hände zur Beruhigung an meine Stirn. „Bruno“ fährt stockend weiter, wie gemein es sei, wenn dieser Jemand ihn täglich auf ein Neues mit seinen übel riechenden und ätzenden Körpersäften markiert. Kopfschüttelnd sitze ich am modrigen Waldboden und weiß nicht mehr hin und zurück. Ich schäme mich„fremd“ für solche Pinkeltäter und rate, diesen Kerlen in ihrem unkontrollierten Drang zu vergeben.

Ich fühle mich wie in „einem kochenden Hauptwaschgang“. Gottlob weicht mir mein treuer Labrador nicht von der Seite, so unheimlich ist mir. Dann lässt „Bruno“ mich noch Gustis Besuche wissen, stets nach Anbruch der Dunkelheit. Ich weiß über dieses Geheimnis, wenn meine entfernte Nachbarin ihr Sammelsurium an Speckschwarten, Hühnerklein und Extras vom guten Bauerntisch liebevoll in den Mulden seiner Wurzelspalten ablegt für Familie Isegrim, die gar nicht weit weg ihre Behausung hat. Das ist Seelenschmaus für meinen Nadelkönig, liebt er doch diese schlauen Mitbewohner über alles. Sie wagen niemals, mit scharfen Hauern seine grünen Fühler schmerzhaft zu verbeißen. Wenn der Nachwuchs ausgelassen um den hölzernen Rundling herumbalgt und ihn vor unguten Nagern oder Pinklern fernhält, dann lacht sein hölzernes Herz. Schließlich sind sie auch ein wichtiges Rädchen in der geheimnisvollen Wohngemeinschaft Wald.

Freund „Bruno“ ist für mich wie etwas ganz Großes –nur mit einer Krone über seiner Stirn. Trotz Spuk und Schreck fühle ich mich unendlich fasziniert und wie verzaubert von diesem Walser Nadel-Millionär.

Bevor ich jetzt nach Hause gehe, versuche ich, meinen liebgewonnenen Freund ähnlich wie von einem „pochenden Zahn“ zu befreien. Doch wie - vergeblich und abermals vergeblich. Dann hab’ ich’s gleich geschafft - und doch wieder nicht. Mein eingesetztes Werkzeug „Fingernägel“verleiht mir den Schein eines unverbesserlichen Nägelkauers. Wie mein Labrador beginnt, die blutigen Fingerkuppen zu lecken, kommt mir der Verschluss seines Halsbandes blitzartig als Werkeug-Chance in den Sinn, um den nixigen Klammernagel zu lockern. Jetzt bringt Bruno seine Worte stolpernd durcheinander, ich glaube es schmerzt ihn ohne Ende. Dann endlich, habe ich den Übeltäter erwischt, und mein Freund ist ihn los unter seiner schuppigen Haut. „Bruno“ summt nur noch wie ein Insekt und verstummt dann gänzlich. Schmerzfrei und erschöpft – dieser lebendige, hölzerne Rundling - der niemals aufhört zu arbeiten. Die Seele eines Baumes - auf der Suche nach behutsamer Behandlung. Der Nagel ist entfernt, die Kerbe bleibt. Dieses wertvolle Gut in unserer Natur gilt es, wichtig zu beschützen.

Ich bin mir sicher, dass mein Seelenverwandter„Bruno“ in diesem Naturwerk gelegentlich zu Gast ist, meine Zwiegespräche weiß und dann und wann für den richtigen Schubser Rückenwind gesorgt hat. Denn er gab mir in seinen zu Ende gehenden Kräften den Trost, mich irgendwie über Zeichen wissen zu lassen, dass er auf der anderen Seite gut angekommen ist und wir über einen heimlichen „Zauber“ in Kontakt bleiben. Bis zu meinem„Baum-Erlebnis“ hatte ich nahezu aufgegeben, von meinem Seelenverwandten„Bruno“ einmal zu hören, zu sehen oder nur zu ahnen, ob weit über den Wolken, bei einem nächtlichen Spaziergang oder sonstwo, um ihn nur einmal wenigstens noch als Toten zu sehen oder zu hören. Ich bin unheimlich stolz auf den hölzernen Energieträger „Bruno“ und das reiche Erbe „Zauber Glaube“.

Übrigens, der nadlige Riese hat seine Wunde mittlerweile mit eigenem Körpersaft verharzt und sich selbst geheilt. Also -„alles wieder gut“! Ich fühle mich täglich auf meinem Wonneweg nicht nur dem Zauber eines Baumes erlegen. Zur Natur gehört für einen echten Walser der Einklang Glaube als etwas Spannendes und Geheimnisvolles, auch wenn es dabei vielleicht um ein berüchtigtes Quäntchen Verrücktheit geht, für das man heutzutage eher bewundert werden kann. Aber es war schon immer so, wer ein wenig verrückt ist, der befindet sich in guter Gesellschaft. Und dieses wertvolle Gut Glaube, gepaart mit Natur, gilt es zu achten, beschützen und zu bewahren. Denn nur Glaube kann Berge versetzen, egal wo er Dir begegnet oder Du ihn findest. Also– mit offenen Augen auf der Hut bleiben!

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